1914 – 1918 Zeitzeugenberichte aus dem 1. Weltkrieg

Eine Lesung aus den Kriegstagebüchern von Ernst Gehrkens

Weltenbrand. Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Der Erste Weltkrieg hat viele Namen,einer schlimmer und doch treffender als der andere. Ernst Gehrkens, der Vater der 79-jährigen Nora Bortfeld, hat den Schrecken des Krieges als Soldat selbst miterlebt. Nun wurden seine Tagebücher gefunden, die seine Tochter mühsam aus der alten Sütterlinschrift transkribiert hat. Natürlich hat sie alles gelesen und sich bereit erklärt vor der Projektgruppe „1914 – 1918 - Zeitzeugenberichte aus dem Ersten Weltkrieg“ vorzulesen. Diese hatte sich in der Projektwoche unter der Leitung von Herrn Lauter und Herrn Nagel mit verschiedenen Aspekten des Ersten Weltkriegs auseinander gesetzt und sich dabei auch intensiv mit den persönlichen Reaktionen der Kriegsteilnehmer auf ihre Erfahrungen in den Schützengräben beschäftigt.

Am letzten Tag des Projekts stellte Frau Bortfeld dann die Tagebücher ihres Vaters vor und berichtete auch über den Einfluss des Krieges auf ihre eigene Familie und die Erziehung. „Mein Vater war sehr streng mit uns und ich kann mir denken, dass er durch den Krieg geprägt wurde“, sagt sie. Ernst Gehrkens war Soldat an der belgisch-französischen Front, wo er in der 7. Kompanie des Infanterieregiments 216 das Grauen des Stellungskrieges an der Somme miterlebte. Anfangs noch ein „glühender Freiwilliger“ berichten die Aufzeichnungen des Abiturienten von „grauenhaften Verwundungen“, vom Verlust von Kameraden und den schlechten Bedingungen in den Schützengräben, aber auch vom alltäglichen Leben mit den belgischen Zivilisten und den Zeiten hinter der Front, wo niemand an den Tod zu denken scheint. Am auffälligsten ist jedoch, wie nüchtern ihr Vater geschrieben habe. „Im einen Moment spricht er über die tödliche Verwundung eines guten Freundes, im anderen dann über eine dienstliche Auszeichnung eines Kameraden. Diese Sprünge sind sehr verwirrend.“

Nora Bortfelds Vater hat damit ein großes Risiko auf sich genommen. Das Verfassen von Tagebüchern war an der Front verboten und konnte den Soldaten als „Wehrkraftzersetzung“ ausgelegt werden. Nora Bortfeld ist aber der Meinung, dass die Tagebücher für ihren Vater und für viele andere Soldaten auch eine Möglichkeit waren, das Trauma zu verarbeiten. In den Tagebüchern schildert ihr Vater auch Situationen, die man sich überhaupt nicht vorstellen konnte. So habe man an einem Tag an der Front ein Schild der gegenüberliegenden französischen Truppen mit der Aufschrift „Hier gute Franzosen! Bitte nicht schießen!“ gesehen. Die deutsche Reaktion sei nicht etwa ein Überraschungsangriff mit Artillerieunterstützung gewesen. Man habe tatsächlich nicht angegriffen und den Franzosen vielmehr Listen mit Namen von Gefangenen ausgehändigt.

Auf den insgesamt etwa 80 Seiten der Tagebücher treten immer wieder solche Situationen auf, die auch Nora Bortfeld überraschen. „Man merkt, dass es eigentlich allen Soldaten gleich ging und man sich auch nur auf Befehl hin gegenseitig umgebracht hat. Ich denke nicht, dass viele der Männer Lust auf das Töten hatten.“

Am 18. Dezember 1917 endet das Tagebuch, als Ernst Gehrkens selber schwer verwundet wird.

Zum Ende fragt Nora Bortfeld, wie wir denn reagieren würden, wenn erneut ein solcher Krieg ausbrechen würde. Keiner weiß sofort darauf eine Antwort zu geben. Der Gedanke an ein solches Gemetzel und die Tatsache, dass man den Feind um jeden Preis vernichten will, ist heutzutage einfach zu weit weg und zu irreal. Wie schnell ein solcher Krieg ausbrechen kann, kann man jedoch am Beispiel des Jahres 1914 sehen.

Wir danken Frau Bortfeld für ihren Besuch im Gymnasium Himmelsthür und den Einblick in die Realität des 1. Weltkriegs, den sie uns mit den Tagebuchaufzeichnungen ihres Vaters gegeben hat.

Jonas Nils Engelking