„Ich habe …nur getan, was mir mein Gewissen …gesagt hat“ – Der Zeitzeuge Harald Jäger über die Nacht des 9. November 1989

„Ich habe am Abend des 9. November 1989 nur getan, was mir mein Gewissen in dieser Situation gesagt hat“ – mit diesen Worten brachte Harald Jäger auf den Punkt, wofür er in den Jahren seither zum Beispiel auch durch den Film „Bornholmer Straße“ zu deutschlandweiter Bekanntheit gelangt ist, denn er ist „Der Mann, der die Mauer öffnete“, wie es in dem Buch des Autors Gerhard Haase – Hindenberg heißt.

Beide sprachen aus Anlass des 25. Jahrestages der Deutschen Einheit am Freitag, dem 02. Oktober 2015, vor Schülerinnen und Schülern des 12. Jahrgangs und beantworteten ihre Fragen nach dem Leben in DDR und der Friedlichen Revolution der Jahre 1989 und 1990.

So wurde für die Schüler sehr eindrucksvoll die Biografie eines Zeitzeugen deutlich, der 28 Jahre lang als Mitglied der Grenzpolizei und Angehöriger des Ministeriums für Staatssicherheit - zuletzt als stellvertretender Leiter der DDR-Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße in Ost-Berlin im Rang eines Oberstleutnants – vom System der DDR überzeugt war.

Harald JaegerEr, der es gewohnt gewesen war stets die Befehle der diktatorisch regierenden Staats – und Parteiführung auszuführen, sah sich dann aber am Abend des 9. November vor die Situation gestellt, ohne Befehl von oben allein entscheiden zu müssen, was geschehen sollte, als er und seine Männer sich den Tausenden von DDR – Bürgern gegenübersahen, die zur Grenzübergangsstelle in der Bornholmer Straße strömten, und mit den Worten „Tor auf! Tor auf!“ forderten, von ihrer neuen Reisefreiheit Gebrauch zu machen, die ihnen zuvor im Fernsehen verkündet worden war.

Ausgelöst worden war der Ansturm auf die Grenze durch den Entschluss des Zentralkomitees der SED am Nachmittag des Tages, eine Verordnung zu verabschieden, die den DDR – Bürgern Reisen nach dem Ausland nach Erteilung eines Visums durch die DDR – Behörden ermöglichen sollte, und zwar ab Freitag, dem 10. November.

In einer vom Fernsehen übertragenen Pressekonferenz antwortete das Mitglied des Politbüros der SED Günter Schabowski, gegen 19 Uhr auf die Frage eines Reporters der Bild – Zeitung „Wann tritt das in Kraft?“ dann aber mit den berühmten Worten versehentlich: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“

Weil daraufhin jedoch keine entsprechenden Anweisungen an die Sicherheitsorgane der DDR erfolgten, stand Jäger allein vor der Situation und bekam den ganzen Abend von seinen Vorgesetzen keine Antwort auf seine Bitte um eindeutige neue Befehle.

Obwohl deshalb immer noch die alten Befehle galten, nach denen er niemanden ohne eine amtliche Reiseerlaubnis passieren lassen durfte, entschloss sich Jäger angesichts der Tatsache, dass seine Männer bewaffnet waren und eine Panik unter den Menschen drohte, die dicht gedrängt vor dem Schlagbaum standen, dann die Kontrollen befehlswidrig einzustellen und den Grenzübergang zu öffnen.

Zehntausende DDR-Bürger konnten in dieser Nacht erstmals seit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 den Westteil der Stadt wieder frei betreten.

Nein, ein Held, sei er deswegen nicht, meinte Jäger, für dessen berufliche Karriere die Wende das Aus bedeutete, auf die Frage, wie er sich selber sehe.

Mit Ihrem Beifall zollten die Schülerinnen und Schüler einem Mann Respekt, der sich heute seiner Vergangenheit im Dienst eines Staates stellt, der seine Bürger unterdrückte.Respekt auch für den Entschluss, den Schlagbaum öffnen zu lassen, den er im entscheidenden Moment gefasst hat.
Die Mauer zu Fall gebracht haben jedoch die DDR – Bürger im Herbst 1989, die in Freiheit leben wollten.

 

Wir bedanken uns ganz herzlich beim Förderverein des Gymnasium Himmelsthür, der dieses besondere Erlebnis möglich machte!

Artikel zur Veranstaltung der Leine-Deister-Zeitung vom 7.19.2015 LDZ 07.10.15 1